Fechter trotzen der Corona-Krise – Landestrainer bieten Videoplattform und Workouts an
Alle Turn- und Fechthallen geschlossen, kein Trainingsbetrieb, der DFB, in diesem Falle der Deutsche Fechter Bund, hat bereits am 12. März 2020 alle offiziellen Turniere gleich bis Ende Juni dieses Jahres abgesagt – eine Fortsetzung der Absagen ist natürlich zu erwarten. Für die ambitionierten Florett-FechterInnen des TSV 1880 Neu-Ulm heißt das: keine Deutschen Meisterschaften in diesen Monaten, dafür eine Sportart, die auf null heruntergefahren ist – aber nicht ganz.
Landestrainer Sebastian Murch gibt in diesen Tagen und Wochen alles. Der ehemalige Weltcupfechter ist seit eineinhalb Jahren beim Bayerischen Fechterverband (BFV) beschäftigt und hat sofort nach dem Corona-Shutdown ein alternatives Trainingsprogramm aus der Taufe gehoben. „Wochen oder Monate nichts zu machen, das geht für unsere ambitionierten Fechter und Fechterinnen natürlich nicht, da mussten wir handeln, wenngleich es sich bei dem Workout nur um Koordination, Ausdauer und Athletik drehen kann“, sagt der 25-Jährige. Zusammen mit BFV-Trainer-Koordinator Niklas Uftring und Florett-Waffenmanager Nikolai Djawadi hat Murch auf der Videoplattform Zoom ein interaktives Trainingsprogramm entworfen, das sie zweimal in der Woche für je eineinhalb Stunden durchführen. „Da sind alle Vereine von Würzburg, Fürth, über München und Neu-Ulm mit ihren Leistungsfechtern mit dabei, jeder in seiner eigenen Folterkammer“, scherzt Sebastian Murch, „es macht jedem Spaß, die Rückmeldungen sind auch während der Einheiten gut, aber es kann das richtige Fechten natürlich nicht ersetzen“, fügt er hinzu.
Das kann Nils Bosserhoff nur bestätigen. Der 15-Jährige vom TSV Neu-Ulm ist normalerweise unter der Woche im Fechtinternat im Bundesstützpunkt Tauberbischofsheim und jedes Wochenende im gesamten Bundesgebiet auf Turnieren im Einsatz, doch derzeit gezwungenermaßen auch auf „Heimaturlaub“ in Neu-Ulm/Pfuhl. „Die Trainingseinheiten sind stark und lassen einen ganz schön aus der Puste kommen, zudem geh ich jeden Tag rund eine Stunde Joggen, aber nach über vier Wochen ohne Waffe und Gegner wird man langsam echt hibbelig“, sagt das große Nachwuchstalent, das eigentlich in drei Wochen bei den Deutschen Meisterschaften in Moers angetreten wäre. Doch alle DMs sind abgesagt und das trifft auch noch weitere neun Neu-UlmerInnen. Außerdem hätte gleich Anfang Mai in Augsburg erstmals der Schwaben-Pokal als neue Bezirksmeisterschaften (Schwaben) stattgefunden – zum ersten Mal für alle drei Waffengattungen an einem Wochenende. Die Neu-Ulmer wären im Florett großer Favorit gewesen, zumal sie bei den Bayerischen Meisterschaften Mitte Februar in eigener Halle der zweiterfolgreichste Verein in ganz Bayern geworden sind. „Der Shutdown wird viele Fecht-Talente etwas in ihrer Entwicklung aufhalten, aber nicht nachhaltig beeinträchtigen können – und es geht ja allen auf der ganzen Welt gleich“, unterstreicht Landestrainer Sebastian Murch. Ironie des Schicksals: Beim Fechten ist ja immer strikter Maskenzwang und auch der Abstand (die Mensur) zwischen den beiden Fechtern beträgt zu Beginn um den Treffer mindestens mehr als 1,5 Meter. Aber die hochtechnisierten Masken aus Kevlar halten zwar jedem Stahlbruch der Waffen stand, aber durch ihre Waben kann die Tröpfchen-Infektion nicht aufgehalten werden. Und manchmal kommen sich die Fechter beim Gefecht dann doch sehr nahe. Da gilt der Gesundheit – beim Fechten ist das seit 30 Jahren ohne schweren Unfall Fakt – sowieso die oberste Priorität.
Wie kann der Exit aus dem Shutdown aussehen?
Für Bezirksfechtwart Thomas Kießling, der vom Bayerischen Fechterverband (BFV) für die Fechter in Bayerisch-Schwaben zuständig ist, wird mit der Öffnung der Schulen auch damit gerechnet, dass die Sporthallen wieder ab Mitte Mai nach und nach öffnen – und zunächst Trainings in kleinen Gruppen möglich werden könnten. „Am besten wäre es natürlich, wenn die Sportlerinnen und Sportler immer auf Corona getestet werden können – aber das hängt wohl weiterhin von der Kapazität der Tests ab“, sagt Kießling.
Zu den Turnieren: „Den Schwaben-Pokal können wir sicherlich auf den September oder Oktober verschieben, wenn wir dann bei der Fülle der Termine noch einen Lücke finden. Auch renommierte Freundschaftsturniere wie das Maikäfer-Turnier in Füssen oder den Donau-Iller-Cup in Neu-Ulm könnte man theoretisch verschieben, wobei ersterer nicht mehr als Ranglistenturnier, sondern als Freundschaftsturnier stattfinden würde.
Was aber mit den Deutschen Meisterschaften machen? „Drei Messehallen zum Beispiel in Leizpig mieten, wo vor zwei Jahren auch die Fecht-WM stattgefunden hat, und dann innerhalb einer Woche alle DMs absolvieren – in Halle eins wird gefochten, in Halle zwei schlafen die Sportler, in Halle drei die Eltern – bei entsprechendem Abstand und mit entsprechenden Tests. Das Ganze müsste aber für die Nachwuchssportler aller Bundesländer in den Sommerferien stattfinden, also schon rund Mitte August. Eigentlich sind alle – einigermaßen – Großveranstaltungen in Deutschland bis 31. August aufgehoben, wenngleich wohl die Bundesländer das letzte Wort haben.
Eine Vor-Recherche hat schon mal ergeben: zu diesem Zeitpunkt im August wären die Messehallen in Leipzig frei und die Veranstalter von der Neu-Ulmer Idee angetan, weil es eine zusätzliche Auslastung bedeuten würde – in diesen Zeiten ein echter Gewinn.
Und: Es geht dabei nicht unbedingt um die Ambitionen der Fechter, sie könnten auch an den Herbst-Wochenenden bis Ende des Jahres ihre Meisterschaften ausrichten – dies aber wohl mit sehr mühsamer Terminfindung bei der begrenzten Anzahl von Terminen, Ausrichtern und Obleuten, die auch bei Welt-Cups, etc. eingesetzt werden. In der Region gibt es mit Allstar (Reutlingen), Uhlmann (Laupheim) und Fence with Fun (Mietingen) drei der weltweit größten Hersteller von Fechtausrüstungen, die ganze Fechtanlagen mit Trefferanzeigen via Funk bis hin zu den Kevlar-Masken, Schutzwesten und Waffen herstellen. Sie sind bei den Turnieren immer vertreten, ersetzen Waffen und lassen Sportler neues Equipment kaufen – auch daran hängen mehrere hundert Arbeitsplätze.
Thomas Kießling